Henny Lehmann                   Hiddensee

 

Um meine Insel sigt das Meer sein Lied.

Sie schwimmt in Flut gleich schmalem grünen Blatte,

Sie reckt in Dünen Heide, moor und matte,

Leuchtfeuer glimmen, und die möve zieht.

 

Es singt von toter Sonne, die verschied,

Damit die Nacht mit Frieden uns umschatte,

Von Himmelswölkchen, weich wie Flöckchen Watte,

Vom Sturm, der jauchzend in die Ferne flieht.

 

Die Lieder alle singt es, die sie sangen

An fremden Ufern, Chöre, die erklangen

Aus Orgeln, von den Betern, die dort knien.

 

Und wie am Inselstrand in Muscheln, Kieseln

Die feinen Wasserfäden sacht verrieseln,

Empfängt es meiner Seele Melodien.

 

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Dem Geist des Lichts

 

Tritt ein in meinen Garten, Geist des Lichts,

Und gib mir deine kühlen frommen Hände,

Daß ich den Strom der Liebe zu dir wende,

Verklärte Form des Gottesangesichts.

 

Wie einst am Tag verkündeten Gerichts

Sich ew’gen Segens heilig frohe Spende

Ergießt in Welten ohne Zahl und Ende,

So rette mich erlösend aus dem Nichts.

 

Es gibt noch Sonnen, die am Himmel brennen,

Es gibt noch Wege, die wir beide kennen,

Dort laß uns freudig und in Frieden wandeln!

 

Und dort, in der geweihten Stille,

Erwächst aus Wunsch und Traum der Wille,

Und Wille hebt sich zu befreitem Handeln.

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Wanderung

 

Ich gehe stumm auf dicht verwachs’nem Pfad,

Und Töne steigen aus der Zweige Schatten,

Die sich gepaart zu Melodien gatten.

Sie wogen gleich der Ähren goldner Saat.

 

Und als ich zögernd dann in’s Freie trat

Vor blütenreiche sonnenfrohe Matten,

Die eingebettet in der berge Satten

Sich dehnten, ward die erst Schöpfertat.

 

der Klang erhaschte klang und floh die Klänge,

das ward ein holdes flatterndes Gedränge,

das endlich sich zum Ganzen freudig ründet.

 

des tiefen Ich noch kaum bewußtet walten

Kann lebend zur Erscheinung sich gestalten,

Die festlich schreitend neue Botschaft kündet.

 

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Abendsonne

 

Verglühter Abend, deine Strahlen sinken

Auf Veilchenbeete, die nun rötlich glühen,

Und droben seh ich ros’ge Veilchen blühen

Am Himmel, dessen Glanz die Lüfte trinken.

 

Im Busch ertönt noch später Schlag der Finken,

Vom Turme Glockentöne, die den mühen

des Tags ein Ziel verkünden, da die frühen

Verträumten Sterne schon am Himmel blinken.

 

Das alles ist so licht und leicht und schwebend,

So ganz in Duft und Glanz und Reinheit lebend,

daß Träume sich mit goldnen Reifen krönen.

 

Nun zur Erfüllung wird das kaum Geahnte,

Zum Pfade gangbar wird das ungebahnte,

Der Sehnsucht Welle ebbt im ewig schönen.

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Im Mondlicht

 

Nun ist der blasse Mond emporgestiegen,

Er füllte sich noch nicht zur runden Scheibe;

Die harten Zweige reckt die alte Eibe

Am Fischerhaus, - und weiße Möwen fliegen.

 

Ich weiß von Müttern, welche Kinder wiegen,

Ich weiß und lebte, höchstes Glück dem Weibe,

Die Stunden, da sich weiche kleine Leibe

An die gefüllte Lebensquelle schmiegen.

 

Und wie der Mond den kühlen Schimmer breitet,

Empfinde ich, wie meine Zeit entgleitet,

Und denke all der vielen, die mir starben.

 

Und denk an manches Ding, das ich getrieben,

Und denk an manche Menschen, die mich lieben,

Und binde meines Lebens reife Garben.

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Der blaue Tag

 

Du blauer Tag, so ganz von Glanze satt,

Daß alle Ähren in den Feldern beben,

Und alle Vögel leichter aufwärts schweben, -

Und doch ist meine Seele krank und matt.

 

Der Tod ist in der Welt! – Der Wilde hat

Mit hartem Griff gepackt Millionen Leben,

Und stetig neue schwarze Fäden weben

Die Schicksalsfrauen. Blatt entfällt nach Blatt

 

Dem Menschheitsbaum, da Brüder Brüder schlagen.

Wie möchte er zur Reife Früchte tragen,

Nun sie den Knospen schon von Zweigen reißen?

 

Wenn in der Tiefe alles Unheil brütet,

Wenn in den Höhen alle Mordlust wütet,

Wenn Tropfen Bluts gleich Tau an Gräsern gleißen?

 

 

 

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Regenbogen

 

Es steht der Himmelsbogen auf dem Wasser,

Das alle seine sieben strahlen spiegelt,

Als sei das Tor des Lichtes aufgeriegelt, -

Und alle Erdenschatten werden blasser.

 

Ein Tropfe hängt, ein schimmerfarbig nasser

Im Uferhalm, und er besiegelt

Den Erden-Himmelsbund, - doch aufgewiegelt

Sind unsre Seelen durch den Schrei der Hasser,

 

Die Mensch an Mensch und Volk auf Völker hetzen.

Den Gottesmantel reißen sie in Fetzen,

Und streuen in die Winde seine Stücke,

 

Und sie zertrümmern, die der Herr dem Volke

Als Bundeszeichen stellte in die Wolke,

Der Sonne strahlgebaute Friedensbrücke.

 

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Sturm

 

Heut fährt der Wind von Ost mit scharfem Stoß,

Er schlgt den schaum aufs Land in weißen Ballen.

Ich seh ins Reff die roten Segel fallen,

Die Wolken stehn geklüftet, schwarz und groß.

 

Mir ist, als hing ein flatternd Menschenlos

In jeder Wolke windgetriebnem Wallen.

So dunkles Treiben wurde auchuns allen,

und manche seele weint sich nackt und bloß.

 

Doch mag ich nicht das Leid, die Unruh schelten.

Die Wolken schauen wandernd Welt nach Welten,

Ihr ganzes Dasein ist ein groß Erleben,

 

Das Ruh’nden fremd. – Mir ward in Bitternissen

Der Reichtum, zu verstehn, aus Schmerzen Wissen

Und ich befreite Liebeskraft gegeben.

 

 

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Karfreitag

 

Zweitausend Jahr fast sind’s, daß Christus hing

Am Kreuzesstamm, daß seiner Liebe Lehre

Uns zu erlösen von der sünden Schwere

Als Segensbotschaft an die Welt erging.

 

Nach zwei Jahrtausenden hat heut ein Ring

Von Haß die Welt umspannt, daß Tod beschere

Der Mensch dem Menschen, - und sie nennen’s Ehre, -

Sodaß umsonst am Kreuze Christus hing

 

Und litt und starb vor fast zweitausend Jahren.

Man fälscht an seinen heiligen Altaren

Sein Wort, sein Ja wird Nein, sein Nein wird Ja.

 

Und die Vergeben nicht, nicht Liebe kennen,

Sie dürfen sich des Heilands Priester nennen, -

Und dennoch stand das Kreuz auf Golgatha.

 

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Krieg

 

Das ist der Krieg, er bricht ins Land hinein

Und speit Verderben aus mit gift’gem Mune,

Er schmückt – mit aller Teufelslust im Bunde –

Das Haupt sich mit erlognem Heilgenschein.

 

Wir waren schlecht und meinten gut zu sein.

Klar schien die Flut, doch Schlamm war auf dem Grunde.

Er quoll aus aufgerißnen Bodens Wunde,

Als niederwärts das Schicksal warf den Stein.

 

Das ist der Krieg, - er brach des Hauses Säulen,

In dem der Bruder mit dem Bruder wohnte,

Des Einen Unheil ward des Andern Sieg.

 

En Grauen, wie wenn Winterwölfe heulen,

Durchrann die welt, da man den Gott enttrohnte,

Der Liebe schönen Gött, - das ist der Krieg.

 

 

 

 

 

Henny Lehmann                  

 

Das ist der Krieg, wenn schwarze Trümmer qualmen,

Wo Kirchen, und wo frohe Häuser standen,

Wenn da, wo Schnitter gelbe Ähren banden,

Die Krähen hocken auf zerstampften Halmen, -

 

Wenn braune Leiber, die am Stamm der Palmen

Sich wohlig dehnten auf besonnten Sanden,

Erstarrt verröcheln auf beschneiten Landen,

Wo dunkle Eisenriesen sie zermalmen; -

 

Wenn über Meere durch der welle Schimmern

Der Tod im Blute geht und groß sich hebt

Ins Blau, in das nur frei der Vogel stieg,

 

Wenn Kinder schmachten, starke Männer wimmern,

Wenn  jedes Mutterherz gefoltert bebt

Im Angesicht der Qual,- das ist der Krieg.

 

 

 

 

 

 

Henny Lehmann                   So ist der Tod

 

So ist der Tod, daß alle Sinne schlafen

Und ungekannter Traum den Geist umspinnt,

Den nie mit Furcht, daß Unruh neu beginnt,

Die Strahlen jung erstandnen Tages strafen.

 

So ist der Tod, daß segellos im Hafen

Das schiff versinkt und jede Flut verrinnt.

Nur weiche Worte raunt der Abendwind

Von Seelen, die im Glanz einander trafen.

 

Der Nebel sinkt auf dunklen Efeu nieder,

Es birgt der Mond sich hinter sanften Schleiern,

Der Wolken Ränder einzig sind erhellt.

 

Die Freuden ducken stumm sich ins Gefieder

Gleich müden Vögeln, alle Schmerzen feiern,

So kommt der große Friede in die Welt.

 

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Nebelmeer

 

Sehr seltsam war’s, - mich hüllten Nebel ein,

Die aller Dinge Wesen mir verschwiegen,

Die so verborgen in den Schatten liegen, -

Vielleicht auch sind sie selber nur ein Schein.

 

Doch dann am Abhang hob sich Stein nach Stein

Der Hütten, die sich in den Ähren schmiegen,

Ins Licht, ich sah die Saat sich wiegen, -

Und plötzlich wieder stand ich ganz allein.

 

Es füllte sich die stumme Welt aufs Neue

Mit Dunst, der mir zu Füßen niedersank,

Weißwogend lag das Nebelmeer im Grunde

 

Tief unter mir, darüber stand die Bläue,

In die ein Turm sich spitzte schmal und blank, -

Ob Finsternissen Licht, so sprach die Stunde.

 

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Sehnen

 

Ich sehne mich nach einer großen Liebe,

Daß sie in unvergänglich milder Schöne

Den Haß und Hader dieser Zeit versöhne

Und bändige die häßlich rohen Triebe.

 

Ich sehne mich nach einer großen Liebe,

Die nicht mit flinkem Spott den wunden höhne,

Die freundlich jeden Schatten sanfter töne,

Daß stets ein Hoffen der Erlösung bliebe.

 

Nach ihr die Sehnsucht wohnt in allen Seelen,

Es ruht ihr Reim in jedes Herzens Grunde,

Doch wächst sie nicht empor zur Sommerblüte,

 

Weil Luft und Tau, Weil Licht und Wärme fehlen.

Mir werde, daß ich sie in jeder Stunde

Behütend hebe zu bewußter Güte.

 

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Sonnenwende

 

Am Haus die Stare rüsten ihre Reise

Gen Süd, für die sie Weggenossen warben.

Sie wollen nicht auf nackten Feldern darben,

Wenn sich die Flut verschließt mit grünem Eise.

 

Das Licht des Leuchtturms schwingt schon rasche Kreise

Und wirft ins Meer die breiten Strahlengarben.

Die Sonne schmückt mit warmen Purpurfarben

Den Abendhimmel, - schau, es dunkelt leise.

 

Der Wind wird still, es glätten sich die wogen,

Der Tag, der Sommer neigen sich zum Ende.

Wie viele hat mir rinnend schon die Zeit

 

Verspült, die Weggenossen sind entflogen,

Es liegt schon weit die Sommersonnenwende,

Auch meine Seele ist zum Flug bereit.

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Herbstsonne

 

Ich liebe dieses Herbstes Sonnensüße,

Die schwer in goldnem Schilf am Ufer hängt

Und letzte Knospen zum Erblühen drängt,

Daß keine allzu spät Erwachen büße

 

Durch frühen Tod, - es geht wie weiche Füße

Ein feines Strahlen durch das Land und schenkt

Ihm, eh sich Winterkälte niedersenkt,

Des toten Sommers neu erwachte Grüße.

 

Und wenn auch nicht mehr Nachtigallen schlagen,

So quellen voller doch gestockte Säfte,

Und beinah ist’s, als sei es wieder Mai.

 

Ich recke mich in wohligem Behagen

und schicke mich zu fröhlichem Geschäfte

In Hoffnung, daß mein Herbst voll Sonne sei.

 

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Schwere Wetter

 

Wie schwere Wetter vor den Strahlen drohen,

Wie viele Todesseufzer trägt der Wind!

So Traum wie Glück, die kaum geboren sind,

Zerfällt wie Scheit, um das die Flammen lohen.

 

Wo sind die Seelen, die in Nacht entflohen! –

Eh du nicht auch, du armes Menschenkind,

Die Augen dir geweint hast nackt und blind,

Eh finden wir nicht aufwärts zu den Frohen.

 

Wie in dem Erdeninnern dunkle Flut,

Die wir nicht kennen und nur brausen hören,

Durch Bergesspalten heiße Dünste sendet,

 

So brodelt, was in Völkertiefen ruht,

Und drängt6 ins Freie schaffend zu zerstören,

Wer weiß es, wie dies alles einmal endet?

 

 

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Die alten Feuer sanken

 

Die alten Feuer sanken in die Asche,

Doch neue Flammen zünden neue Scheite,

Der eignen Schöpfung sind sie Todgeweihte, -

Du stirb, daß ich aus dir das Leben hasche!

 

Was will ein Groll, daß Welkes stets die rasche

Zerstörerkraft des Schöpfers stellt bei Seite,

Damit er neuem Wirken Weg bereite, -

Im Netz des Werdens flicht sich Masch’ in Masche,

 

Der Tag stirbt an der Nacht, die Nacht am Tage,

Und ewig schmerzensreich ist solches Walten,

Denn das, was sterben muß, hat stets gelitten.

 

Wenn ich den Marmor aus dem Felsen schlage,

Der großen Göttin Bildnis zu gestalten,

Dann bleibt dem Fels die Wunde eingeschnitten.

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Das Dunkel tönt

 

Das Dunkel schloß die Tore nun der Welt,

Es sind nicht Bilder mehr, nur Töne klingen,

Die sich als Hüllen schmiegen zu den Dingen,

Den Strahlenlosen, die der Blick nicht hält.

 

Wir wissen sie in Schatten hingestellt,

Die Füße hemmend, wenn wir vorwärts dringen,

Und ihre Seelen sind es, die jetzt klingen,

Bevor am andern eins vielleicht zerschellt.

 

Und so auf unerhelltem Pfad des Lebens

Sind Dinge tausendfach, die ihn verbauen,

Und die einander allzu leicht zerstören.

 

sie zu erkennen trachten wir vergebens.

Wir können sie wohl tasten, doch nicht schauen,

Und nur im Dunkel sehnend klingen hören.

 

 

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Absturz

 

Am Absturz ragen hohe schwarze Tannen,

Um ihre Wipfel geht der Meereswind.

Gestalten kommen, die nicht wirklich sind

Und leben wollen, - ich nun soll sie bannen.

 

Sie schliefen sankt an Wassern, die verrannen,

In Baumesdunkel. Doch der Tag beginnt.

Ihr goldnes Netzwerk durchs Gezweige spinnt

Die sonne, Wesenloses muß von dannen.

 

Du weiße Frau, ich kenne deine Lippen,

Sie haben manchen Gruß mir zugesandt,

Und deine blassen Augen kenn ich auch.

 

Im Glanze stehst du an dem Rand der Klippen,

Du hältst die Opferschale in der Hand,

Wie Duft entschwebt ihr feiner weißer Rauch.

 

 

 

Henny Lehmann                   Der Sturm der Nacht

 

Der nächt’ge Sturm umschreit mein einsam Haus,

Er packt mit hartem Griff die Fensterladen

Und stößt sie auf, - der ersten Träume Faden

Zerreißt, - ich schaue in die Nacht hinaus.

 

Mir ist, als sähe ich im Wirbelbraus

Zwei Frauen auf den blattverwehrten Pfaden,

Die wilde Tänze in dem Mondlich baden, -

Dann löscht den Spuk ein Schatten plötzlich aus.

 

Ein Rauschen kommt, es schlagen schwere Tropfen

Gleich Hämmern auf den Boden, dumpf und hohl,

Sie rinnen weinend nieder von den Zweigen.

 

das ist, als ob viel tausend Herzen klopfen,

Und alle diese Herzen kenn ich wohl,

Und alle diese Tränen sind mein eigen.

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Im Dunkel lag ich

 

Im Dunkel lag ich offnen Augs, da schritt

Im Schatten schimmernd zu mir eine Frau.

Um ihre Schläfen lag das Haar schon grau.

Auf ihrem Antlitz stand die Schrift: ich litt.

 

Dem Ohr so unvernehmbar fiel ihr Schritt,

Wie auf die Blüten fällt der Morgentau.

Es hing um sie ein Duften süß und lau

Verwelkter Rosen, die der Gärtner schnitt.

 

Ein Schleier floß hernieder um die Knie,

Den die gesenkten blassen Hände hielten,

Bis zu den Augen langsam sie ihn hob.

 

Das war, als ob er neue Schatten lieh

Der Nacht, die um die Glieder spielten, -

Und alles wurde Wolke und zerstob.

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Die Dornenebene

 

An Dornstrauch drängte sich der Dornenstrauch,

Mit braunem Stachelwerk die Heide deckend,

Ein Vogel schrie, den Hall der Lüfte weckend,

Und über alles ging des Todes Hauch.

 

Da war er selber schon gekommen auch, -

Er hob sich, dürre Riesenglieder reckend,

Auf kahlem Hügel, Flammen krochen leckend

An ihm empor und schwerer schwarzer Rauch.

 

Und plötzlich sprang die Lohe himmelan,

Und gierig fingernd griff sie niederwärts,

Die Dornenebne ward ein Glutenmeer.

 

Das große Sterben in der Welt begann,

Gezeugtes krümmte ungeheurer Schmerz,

Der Tod stand schweigend, - oder lachte er?

 

 

 

Henny Lehmann                   Der Reiter

 

Der schwarze Reiter jagt auf schwarzem Pferde

Durch Wüstensand, der wirbelnd aufwärts staubt,

Es streckten Bäume nackt sich und entlaubt

Gleich Geisterfingern an dem Rand der Erde.

 

Aus Stacheldickicht schiebt sich Herd’ um Herde

Von fremden Tieren, Haupt gedrängt an Haupt.

Der Glutenwind, der letzten Atem raubt

Beklemmter Brust, erfüllt mich mit Beschwerde.

 

Und tausend kleine Füße hör ich tappen,

Und tausend Kinderstimmen hör ich weinen,

Ich suche sie, daß ich sie trösten mag.

 

Doch über Leichen tritt der wilde Rappen.

Der Wüstensand spielt Fangball mit Gebeinen,

In roter Lohe stirbt der Sonnentag.

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Kinder

 

Oft in Träumen seh ich Kinder spielen,

Liebe kleine Kinder, weiße zarte,

Die ein reiner Glanz den Engeln paarte

So wie Sterne, die vom Himmel fielen.

 

Oft in Träumen seh ich Kinder spielen,

Schaue, wie um sie ein Volk sich schaarte,

Das mit ihnen durch das Offenbarte

Wandern will zu ungekannten Zielen.

 

Kinder sind es ja, die Wunder wissen,

Alle Märchen halten sie zu eigen,

Herrscher sind sie auf versunknen Thronen.

 

Wenn sie ihre bunte Flagge hissen,

Folg ich gern, will dankbar und in Schweigen

Selbst ein Kind im Kinderlande wohnen.

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Im Dämmer lag ich

 

Im Dämmer lag ich zwischen Traum und Wachen

Und sah Gestalten mir vorübergehn

Wie Nebelstreifen, wenn die Winde wehn,

Wie fern am Horizont ein fremder Nachen.

 

Ich sah ein Kind, des Hände fächelnd fachen

Ein Fünkchen an, daß Flammen draus entstehn,

Die sich in roten Wirbeln zierlich drehn,

Und klingend höre ich das Kindchen lachen.

 

Doch weh, - nun wollen es die Gluten greifen,

Da hebt es ernsthaft deutend seine Hand, -

Die Flamme neigt sich, - sterbend in den Raum

 

Verstreut sie Blüten, wirft die goldne Reifen.

Ein Wölkchen flattert, wo das Kindchen stand,

Des Morgens Sonne hebt mich aus dem Traum.

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Reigen

 

Im Abendlicht sah ich unter roten

Verträumten Blüten Kinder Reigen tanzen,

Sie schienen erdentstiegen gleich den Pflanzen,

Sie schienen erdgebunden gleich den Toten.

 

Und als um sie die Blumenflammen lohten,

Und Gräser standen, schmal und spitz wie Lanzen,

Verband ihr Rythmus sie dem Schöpfungsganzen,

Das atmend ruhte, - sie, die schönen Boten.

 

Sie wiegten schreitend ihre feinen Glieder,

Sie neigten sich der Erdenmutter zu

Und grüßten sie mit leichtem Spiel der Hände.

 

Dann sanken still sie in die Blüten nieder,

Und über alles ging der Schatten Ruh.

Es war die Nacht der Sommersonnenwende.

 

 

 

 

Henny Lehmann                   In einer Kirche

 

ich stand in einer Kirche, der das Licht

In farb’gen Strömen durch die Scheiben floß

Und goldne Wellen durch die Pforten goß, -

Es trat herein ein holder kleiner Wicht.

 

Den Leib umfing ein Hemd ihm weiß und schlicht,

Ein Kränzlein trug er, selbst ein Blütensproß.

Aus hoher Kerze, die die Hand umschloß,

Ging spielend Schimmern über sein Gesicht.

 

Er kniete vor dem Kind und vor Marien,

Die gelbe Kerze hob er zum Altar,

Die Augen schließend, blaß und starr, als wüßte

 

Er nichts vom Leben mehr, - ein sterbend knien, -

Ich trat hinzu, - und mir zu Füßen war

En weißer Marmor, den die Sonne küßte.

 

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Die Woge

 

Das Meer war still, nur eine Woge bäumte

Sich einsam hoch, gekrönt mit Flockenweiß.

Sie zog nach Morgen, wo der Sonne Kreis

Den Himmel schon mit roten Strahlen säumte.

 

Es war, als ob der Welle Seele träumte

Gen Ost zu wandern in das Paradeis,

Da ward sie hart, es starrte grünes Eis,

Wo eben noch ein Leben freudig schäumte.

 

Doch auf gefrornem Kamme flatternd hebt sich’s,

Es steigt ein Schwarm von tausend Schmetterlingen

Empor und fliegt der jungen Sonne zu.

 

Ein holdes Bild, Erstorbnes so belebt sich’s,

Das Wandermüde regt zum Flug die Schwingen

Und schwebt zum Lichte, - also ich und du.

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Wandre, meine Seele

 

So wandre, meine Seele, durch die Tale,

In denen Wiesen schlummern grün und weich,

Und raste an dem schilfumstandnen Teich

In vollen Mondes wunderreinem Strahle.

 

Und tritt in Kirchen, wo am Marterpfahle

Der Christen Heiland blutet, wund und bleich,

Und schwing dich aufwärts in der Sterne Reich,

Wo Engel spielen in dem ew’gen Saale.

 

So lerne du von aller Schönheit trinken,

So magst du fromm zu dem Geweihten treen,

Wenn dir auch nicht der Gott lebendig wohnt

 

In blauer Luft. Die Formen laß versinken!

Dein Glaube auch kann an dem Altar beten,

Auf dem der Menschengott der Liebe tront.

 

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Letzte Klarheit

 

Wie schön die letzte Klarheit ist der Luft,

In der die Schatten aufgelöst verschwimmen.

Mich grüßt ein Wiederhall verklungner Stimmen,

Aus denen noch des Tages Leben ruft.

 

Ihr Sonnenstrahlen, die ihr Werden schuft,

Ihr sinkt und sterbt. Die goldnen Funken glimmen

Noch spiegelnd auf dem Meer, doch Sterne klimmen

Schon schimmernd aufwärts über eurer Gruft.

 

Die Sterne, sagt man, sollen Segen künden,

Die Sterne sollen manch Geheimnis hüten.

Wer weiß es? Wo ist Wissen, wo die Wahrheit?

 

Wenn meines Abends Sterne sich entzünden,

Dann küsse meine Seele späte Blüten,

Und sinkend Licht gewähre letzte Klarheit!

 

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Die Nebel brauen

 

Nun brauen draußen auf dem Land die kalten

Farblosen Nebel um gefrorne Weiden,

Die bangend vor des Winters nahen Leiden

Am Zweig noch ängstlich letzte Blätter halten.

 

Bei Netzen stehen klumpig die Gestalten

Der Fischer, welche mit den beiden

Erstarrten Händen blanke Schuppen scheiden

Vom Netzwerk, und die braunen Segel falten.

 

An kurzem Pfahle lehnt ein junges Weib,

Das mühsam in dem hochgeschwellten Leib

Des Muttersegens liebe Bürde trägt.

 

So froher Trost, da arm und blütenlos

Die Erde stirbt, daß warm im Mutterschoß

Der Puls des neuerwachten Lebens schlägt.

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Mein Stern

 

Du klarer froher Stern, du blinkst,

Bewegtes Leben in dem stillen Blau;

Das hebt sich festlich in gewölbtem Bau,

Aus dessen Kuppel du hernieder winkst.

 

Es ist, als ob du ganz die Seele trinkst

Mir kummermüden stillgewordnen Frau, -

Die Tage wurden herbstlich kühl und rauh,

Die Nacht ist licht und mild, bis du versinkst.

 

Die Nächte sind es nur, die Seelen haben,

Die Ew’ges und Begrenztes fast verbinden,

Daß erdennahe rückt, was himmelsfern.

 

Mein Herz spielt kindergleich mit Traumesgaben,

Es kann verlorne Feuer wiederfinden, -

Und über allem du, geliebter Stern.

 

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Ein Brief

 

Zum ersten Male schaue ich die Züge

Der Schrift, die du geschrieben, heute wieder

Nach dreißig Jahren, - diese rannen nieder

Wie Wasser, wenn wir stürzen volle Krüge.

 

Fast ist’s, als ob mein Herz doch schneller schlüge,

Und geht nicht leicht ein Hauch von blauem Flieder

Durchs Zimmer? Klingen nicht auch Vogellieder?

So war’s, als Stein auf Stein – ein schön Gefüge –

 

Wir legten für erträumtes Zukunftshaus.

Es sollte stolzes Werk uns ewig einen.

Wie töricht waren wir, - und ach, wie froh!

 

Was war’s für lieber bunter Frühlingsbraus!

Ich lächle leis, und beinah möcht ich weinen.

Als du geschrieben, war dir’s ebenso?

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Es singt das Meer

 

I.

 

Es singt das Meer – und macht mich trüb und froh,

Wie wechselnd Bilder sich an Bilder schieben,

Es singt von dem, was schwand, und was geblieben,

Ein flutend Überall und Nirgendwo

 

Von Traum und Tag. Verschwiegne Wunder so

Der Tiefe klingt es, - Schönheit, die wir lieben.

Es singt von jenem, der den Faust geschrieben,

Von Titian und Michel Angelo.

 

Es singt das Meer  von Christus dem Versöhner,

Von Indien singt es und dem weisen Büßer,

Es singt von Liebe mir, die Wunden heilt.

 

Und seine Fläche schimmert um so schöner,

Und seine weisen klingen um so süßer,

Da noch im Tiefen das Geheimnis weilt.

 

 

II.

 

Ich stehe in der Halle lichter Weite,

In der die gelben Geigenöne schwirren

Und veilchendunkle Chelloseufzer irren,

Weißsilbern geben Glöckchen das Geleite.

 

Das ist, als ob sich bunt ein Teppich breite

Von seiden über laute Lebenswirren,

Von fern nur hör ich noch die Waffen klirren,

Da jählings schrillt zerplatzend eine Saite.

 

Und alles schweigt, - und alles sucht verloren,

Bis endlich rein und klar die Dominante

Die Töne sieghaft führend aufwärts quoll.

 

Wie Schicksal pocht es an der Zukunft Toren,

Wie weiche Wellen wiegt sich das Andante,

Beethovens ew’ge Fünfte in C-moll.

 

 

III.

 

Es singt das Meer – mit all den ungeweckten

Millionen Stimmen, die im Tiefen ruh’n.

Sie sind von Seelen, die zum Licht sich reckten.

 

Ich möchte steigen zu den Nieentdeckten

Zum Grunde nieder, so wie Taucher tun,

Und löste mir die Füße aus den Schuh’n

Geweihten Grund zu treten, unbefleckten.

 

Und dort im Dämmerlicht der großen Stile

Gesellt zu seltsam wachem Blütenleben

Belauschte ich der fremden Herzen Schlagen

 

Viel Rätsel lernend wie einst die Sybille.

Ich aber würde ihnen Kunde geben

Von unsres Lebens lauten Sonnentagen.

 

 

IV.

 

Es singt das Meer – aus seiner ernsten Tiefe

Von allem Leid, das auf der Menschheit lastet,

Von aller meiner Sehnsucht, die nicht rastet,

Und wenn sie hunderttausend Stunden liefe

 

In dunklen Nächten, die ich gern durchschliefe,

Durch die sich meine müde Seele tastet.

Euch Liebste sucht sie, ob ihr nicht mir faßtet

Die Hand, - ob nicht ein Engel riefe

 

Am ew’gen Tor, mich ladend zu den Weiten,

Wo reine Geister wohnen in dem Hellen,

Wo Liebe nur der Liebe Antlitz schaut.

 

Ich möchte gern zu solchem Himmel schreiten

Auf goldner Straße, wie sie über Wellen

Die Abendsonne im Versinken baut.

 

 

V.

 

Ich liege schlummerlos in dunklen Nächten

Und lebe sie im Suchen der Gedanken,

Die sich um Längstvergangnes klammernd ranken,

Daß sie mir meine Toten wieder brächten.

 

Welch holder Wahn, daß einstmals die Gerechten

Entsündigt vor des Weltgerichtes Schranken

Sich froh gesellen zu den weißen schlanken

Beschwingten Engeln, die mit Liebesmächten

 

Die Welt durhstrahlen! – Ich nicht kann es glauben,

Doch glaub ich innig an der Liebe Kraft,

Daß sie Gestorbnes neu erwecken mag.

 

So kann euch, Liebste, mir der Tod nicht rauben,

Denn meine Liebe schafft in jeder Nacht

Als Rufer euch den Auferstehungstag.

 

 

VI.

 

So innig glaub ich an der Liebe Kraft,

Die nicht gestorben ist in Kreuzesqualen,

Und die – bedeckt mit tausend Wundenmalen –

Doch tausendfältig neues Leben schafft.

 

Es ist ein Riß, der in der Menschheit klafft,

Mit Herzen rechnen sie als wie mit Zahlen,

Und gierig hat der Schlachtentod die fahlen

Zerrißnen Leiber in die Nacht gerafft.

 

Des Hasses werk! Doch glaub ich, daß auf Erden

Die Liebe sieghaft ihm den Kranz entwindet,

Des Diesseits Kind, daheim nicht nur in Reichen

 

Der Träume, - Menschen werden Brüder werden,

Ein Band wird sein, das Volk dem Volk verbindet,

Die Liebe einst uns in des Friedens Zeichen.

 

 

VII.

 

Es singt das Meer, ich kann es nicht mehr hören,

Denn ferne bin ich den geliebten Fluten.

Ich weiß, es singt davon, wie Menschen bluten,

Ich weiß, es singt von Heeren, die zerstören.

 

Ich weiß, am Uferrande stehen Föhren

Auf steilem Hang, verrinnende Minuten

Begießen sie mit Früh- und Abendgluten,

Und zitternd lauschen sie den Wellenchören.

 

Es singt das Meer, es singt das Lied der Zeit,

Ich weiß es wohl, ich kenne seine Weise,

Das dunkle schwere schicksalsvolle Lied.

 

Wann sind wir von des Hasses Druck befreit?

Die Möwe stößt herab, indes die Kreise

Im hohen Blau ein schwarzer Adler zieht.

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Mein Glaube

 

Wenn ich an Liebe nicht den Glaube hätte,

Zu lastend wäre keine Grabesplatte

Für meinen Leib, in den die erdensatte

Verstörte Seele an der dunklen Stätte

 

Sich bang verkröche, wie im Mutterbette

Ein ängstlich Kind. – Und wenn im Herbste matt

Von kaltem Baume taumelt Blatt nach Blatt,

Dann ständ ich schaudernd vor dem Weltskelette

 

Des ungeheuren Tods, des hoffnungslosen.

Ich sähe nur den Kampf bei dem, was lebt,

Und wie ein Sein das andre stets vernichtet.

 

Wo Liebe ist, erstehn aus Gräbern Rosen,

Was erdgefesselt ist, wird frei und schwebt,

Wo Liebe ist, wird jede Nacht durchlichtet.

 

 

 

 

Henny Lehmann                   In frühen Tagen

 

In frühen Tagen, als das blut mir brannte,

Als stark und frisch sich straffte junger Leib,

Erstand der Wusch mir, wär ich doch kein Weib,

Da Mannesmacht die Welt ihr eigen nannte,

 

Da man uns hilflos in das Leben sandte

Zu halbem Ernst, zu halbem Zeitvertreib, -

Und jedem freien Wollen scholl ein „bleib“,

Das enge in geprägte Form uns bannte.

 

Nun seh ich Tage mir vorüber eilen,

Die ihre Stunden all im Blute röten

Nun nenn ich gern ein Frauenschicksal mein,

 

Denn mein ist Recht zu helfen und zu heilen,

Und mein sind Hände, die nicht Brüder töten,

Und allem Kranken darf ich Mutter sein.

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Winternacht

 

Eisblumen sind am Fenster, und der Mond

Durchglitzert blau die zackigen Kristalle,

Es schlägt die Kirchturmuhr mit dumpfem Halle,

In dem der Nacht gefrorner Schwere wohnt.

 

Der Winter weiß von Mitleid nicht, - er tront

Auf harter Berge schwarzgetürmten Walle

Und reckt begehrend seine Todeskralle

Nach dem Lebend’gen, das der Tag verschont.

 

Ich aber sehne mich nach Sommerfülle,

Nach Farbenrauschen und nach Strahlengluten,

Ich sehne mich, daß ich das Leben fühle, -

 

Noch einmal fühle, eh sich löst die Hülle,

Damit mich dann das Meer mit raschen Fluten

Aus vollstem sein in’s Wesenlose spüle.

 

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Wolfgang

 

Wenn ich auf meinem letzen Lager liege,

Dann soll ein Rauschen mir im Ohre sein

Von allen Lebensstimmen im Verein,

Damit mein Sinn die Zeiten so durchfliege, -

 

Damit Verborgnes wiederum entstiege

Aus der Vergangenheit verschlossnem Schrein,

Daß ich Verlornes wieder nenne mein

Und noch einmal mein erstes Kindchen wiege.

 

Mein Bub, du starbst, ein Mann. Die frohe Kraft

Erlosch wie Feuer in verglühten Scheiten

Dir, den in Glück und Schmerzen ich geboren.

 

Geliebte Krönung meiner Frauenschaft,

Ich möchte in das Nichts hinübergleiten

Mit deiner jungen Stimme vor den Ohren.

 

 

 

 

Henny Lehmann                  

 

Vor meinen Fenstern braust der schwarze Wald,

Als ob aus Schatten viele Stimmen rufen,

Gestalten treten auf des Hauses Stufen,

Die rascher Nebel steigend löst und ballt.

 

Sie tragen Häupter grau und schwer und alt.

Sie sind die Leiden, die die Tage schufen.

Sie preßten Trauben in des Lebens Kufen, -

Der Wein verrann, die Winde gehen kalt.

 

Die Welt ist traurig, und ich möchte weinen,

So wenig Güte ist, so wenig Lieben,

Daß alle Seelen bang im Dunkel hausen,

 

Und keine ist, die froh sich eint der Meinen. –

Ich schaue stumm, wie sich die Nebel schieben,

Ich lausche stumm, wie schwarze Wipfel brausen.

 

 

 

Henny Lehmann                   So seltsam ist’s

 

So seltsam ist’s, wie schnell wir einsam sind

Und gingen jüngst doch noch in froher Menge,

Gepreßt in warme liebevolle Enge, -

Man ist ein Greis – und war noch eben Kind.

 

Wir sind ein Staub, verwirbelt in dem Wind,

Ein Blendwerk war das festliche Gepränge,

Das Leben schlägt in Seelen Geierfänge,

Dann sehen wir,... wir waren, ach, so blind!

 

Wir sind ein Staub, der fliegend Wüsten sandet,

Nicht weiß ich, such ich dich, du andrer Staub, -

Was bist du mir? – Die Einsamkeit ist gut.

 

Es geht der Wind, die graue Woge brandet,

Und Wind und Woge sind der Klage taub.

Sie bauen Gräber. Frieden dem, der ruht!

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Der Sturm ist draußen

 

Der Sturm ist draußen, draußen ist die Nacht,

Die um die Häuser schwarze Mauern baut.

Sie trägt hinein der fremden Klage Laut,

Den Ruf des Schmerzes, der in Schatten wacht.

 

Ist es der Schrei des Sterbens in der Schlacht?

Des Schiffers, der des Schiffes sinken schaut?

Des irrgegangnen Wandrers, dem es graut,

Da splitternd Eis zu seinen Füßen kracht?

 

Es ist so vieler Schrecken in der Welt,

Doch wenn das Leid an Leid sich schmiegen würde

Dann müßten unsre Nächte leichter werden.

 

Wenn müde Hand die Hand des Müden hält,

wenn Lastbeschwerter mitträgt andrer Bürde,

Dann wird es wie ein Leuchten sein auf Erden.

 

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Schnee

 

Am Bergeshange träumt in kühler Reinheit

Das Schneegeheimnis unter ernsten Fichten,

Die ihre breiten Äste schweigend richten

Zu einer hohen Mauer dunkler Einheit.

 

Hier fällt von meiner Seele alle Kleinheit,

Mit der die engen Städte uns umdichten.

Sie findet sich zurück zum Edel-Schlichten

Und lauscht auf ihrer Schwingung feinste Feinheit.

 

Der weiße Schnee bedeckt die müden Blätter,

Die welk und taumelnd von den Zweigen fallen,

Er schützt den Reim verborgner Frühlingsblüten.

 

Der Unbefleckte ist der Zukunft Retter.

Ein gnädig Schicksal wolle so uns allen

In Reinheit Werden und Vergehen hüten.

 

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Wintertag

 

Ins Zimmer kriecht der graue Wintertag,

Der an den Wänden mühsam aufwärts klimmt

Und sacht das letzte Träumen von mir nimmt,

So wie man eine Kerze löschen mag.

 

Doch bleibt in mir ein zartes Schwingen wach,

Wie Töne schwirren, wenn man Saiten stimmt,

Wie Wölkchen schweben, wenn ein Scheit verglimmt, -

Und plötzlich hallt ein lauter Stundenschlag.

 

Die ganze Wirklichkeit ist mir vor Augen,

Das Leid und wohl ein wenig Glück ersteht,

Das Wollen, Suchen, Mühe, Last hebt an, -

 

Die Sehnsucht, Schönheit aus der Welt zu saugen. –

Wir finden nie. – Was macht’s? – Der Tag vergeht, -

Dann nachtet’s wieder, daß man träumen kann.

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Für meine Träume möcht ich wecken

 

Für meiner Träume Leben möcht ich wecken

So viel Verborgnes, das nicht Augen schauen.

Die Toten sollten treten aus den grauen

Verweinten Nebeln, welche Gräber decken.

 

Gebrochne Äste sollen neu sich recken,

Verstürzte Tempel strahlend sich erbauen.

Wie Bergeswasser, die am Wehr sich stauen,

Im Überschäumen weit ins Land sich strecken,

 

So sollte mein Erinnern freudig fließen,

Mein Hoffen sollte strömend Schönheit zeigen

Und Größe, die an still in Demut ehre,

 

Und der Messias, den sie uns verhießen,

Im Glanze sollte er der Gruft entsteigen,

Damit die Welt er wieder lieben lehre.

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Ich kehre heim

 

Ich kehre heim, - der müde Fuß durchschreitet

Die Zimmer, die in Abendschatten rasten,

In die sich mühsam meine Sinne tasten, -

Und alle Lichter zünd ich. Freudig gleitet

 

Der Strahlenstrom in Winkel, die er weitet,

Als ob ins Dunkel helle Häne faßten.

Wie schön das! Leichter werden meine Lasten

In all dem Glanze, der sich um mich breitet.

 

So sei es, wenn mein Lebenstag verglommen

Und ich am Rand der großen Ebne stehe

Nach vielem Wandern auf verschlungnen Pfaden!

 

Dann möchte ich, bevor die Nacht gekommen,

In deren Düster ich zur Ruhe gehe,

Noch einmal ganz in Helligkeit mich baden.

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Schöpfung

 

Als Gott die Welt dem wirren Nichts entraffte

Und sie in feste Form gestaltend band,

Geschah es ihm, daß er sich selber fand

Im Schaffen, das dem Gott die Gottheit schaffte.

 

Das Leben quoll empor mit warmem Safte,

Nur was lebendig kündet Schöpferhand.

Der Odem, in den Erdenkloß gespannt,

Verkörpert Schatten in das Wesenhafte.

 

Es stand das Werk und sah den Schöpfer an.

Den Gott, es schuf der Mensch ihn sich zum Bilde,

Er nahm von ihm die frohe Schöpferlust,

 

Daß ihm belebt die Welt vom Finger rann,

Und sieghaft schlug er tönend an die Schilde,

Der eignen Gottheit froh und unbewußt.

 

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Kleine Dinge

 

Ein seltsam Frohsein wächst von kleinen Dingen. –

Im Dunkel lag ich und hörte nur

Den feinen Silberstundenschlag der Uhr

Gleich einer zarten Mädchenstimme klingen.

 

Und lächeln mußt ich, - die Gedanken gingen

In junger Träume überwehter Spur

Im Frühlingsglanz, da auf durchblühter Flur

Ein Schwarm sich hob von weißen Schmetterlingen.

 

Mir ist, als brächen mir die Dinge mit

Die Kunde von gewes’ner Zeiten Gang,

Von tausend Tönen, die im Raume schwebten, -

 

Von jeder Hand, die liebend sie umglitt,

Von jeder Stimme, die vor ihnen klang,

Von allen Menschen, die mit ihnen lebten.

 

 

 

 

Henny Lehmann                   Wenn Menschen sterben

 

Wenn Menschen sterben, schreiten Füße leise,

Wir schütten Stroh vor ihres Hauses Türe,

Daß an ihr Ohr nicht Lärm der Straße rühre, -

Und also rüsten wir die große Reise.

 

Vielleicht, - daß ihrer Seele ferne Weise

Dann grüßend klingt, daß sie Erwachen spüre,

Wo wir den Schlummer schauen, daß sie führe

Ein lichter Geist zu reinrer Sphären Kreise.

 

Vielleicht, - wir wissen’s nicht, doch manche glauben,

Daß nur der Leib wie morschen Fasses Dauben

Sich löst, - wie reifem Kern die Schale weicht, -

 

Sie meinen, daß durch blaue Ewigkeiten

Wir selig dann in Sternenreigen schreiten, -

Ich glaub es nicht, doch weiß ich nichts, - vielleicht, -